Fallbeispiele aus dem realen Parlamentsbetrieb

Motion: Stärkung nachhaltiger Baustoffe über die Vorbildfunktion des Bundes

Motionstext

"Der Bundesrat wird beauftragt, die Umsetzung von Artikel 10 des Klima- und Innovationsgesetzes (KlG) rascher voranzutreiben und Vorgaben zu definieren, um über die öffentliche Beschaffung die nachhaltige Produktion von Baustoffen zu stärken – insbesondere im Bereich der Produktion von Stahl, Zement, Asphalt, Aluminium oder Dämmstoffen. Er bezieht dabei auch Artikel 35j Absatz 2 des Umweltschutzgesetzes (USG) mit ein. Auf Verordnungsebene sollen die nötigen Grundlagen und Anforderungen geschaffen werden. Diese werden für öffentliche Ausschreibungen berücksichtigt, unter anderem bei Zulassungs- und Vergabekriterien wie z.B. CO2-Emissionen in der Herstellung oder die Kreislauffähigkeit, um nachhaltiger produzierte Baustoffe (inklusive Holz) gegenüber herkömmlichen zu bevorzugen.

Am 18. Juni 2023 hat die Schweizer Stimmbevölkerung das Klimaschutzgesetz angenommen. Für Bund und Kantone gelten damit gemäss Artikel 10 des KlG ambitionierte Ziele in Bezug auf die Erreichung von Netto-Null bis 2040. Sie nehmen dabei eine Vorbildfunktion wahr. Damit die öffentliche Hand ihre Ziele erreichen kann, muss sie bei der öffentlichen Beschaffung jene Anbieter respektive Produkte stärker berücksichtigen, die einen möglichst geringen Treibhausgasausstoss verursachen.

Wie in der Antwort auf die Interpellation 24.4041 aufgezeigt, beläuft sich das Volumen der öffentlichen Beschaffung auf jährlich ca. 41 Mrd. Franken und entspricht ca. 6 Prozent des BIP der Schweiz. Die öffentliche Beschaffung hat entsprechend eine grosse Hebelwirkung, insbesondere für die Reduktion der vor- und nachgelagerten Treibhausgasemissionen. Ebenfalls bestätigt der Bundesrat, dass die Berücksichtigung von klimafreundlichen Technologien sowie von kreislauffähigen Angeboten in der Beschaffung eine Schlüsselrolle zukommt. Trotz dieser grossen Hebelwirkung verzögert der Bundesrat die Umsetzung von Artikel 10: Er will zunächst eine umfassende Treibhausgasbilanzierung erstellen und die Ausarbeitung eines Konzeptes zur Reduktion der vor- und nachgelagerten Emissionen erst nach 2025 angehen. Das ist unverständlich, weil so CO2-intensive Massenbaustoffe (Metalle, Zement und Asphalt) weiterhin priorisiert behandelt werden könnten. Sie machen derzeit rund 75 Prozent der Gesamtemissionen bei Infrastrukturprojekten aus.

Für die Verbreitung nachhaltiger Baustoffe ist es essenziell, dass erste Absatzmärkte, sogenannte Leitmärkte, geschaffen werden. Dabei liesse sich das öffentliche Beschaffungswesen als Impuls nutzen.

Insbesondere für die Schweizer Stahl- oder Zementproduktion ist es existenzgefährdend, wenn nicht zeitnah Leitmärkte für nachhaltig produzierte Grundstoffe entstehen. Schweizer Hersteller haben ihre Produktion über die Elektrifizierung oder die Wiederverwendung von Abfallprodukten nachhaltiger ausgestaltet oder planen dies zu tun, was mit grossen Investitionen verbunden ist. Allerdings werden ihre innovativen, klimafreundlichen Produktionsverfahren in der öffentlichen Beschaffung zu wenig berücksichtigt. Die öffentliche Hand richtet ihre Zulassungs- und Vergabekriterien nicht genügend konsequent an der Nachhaltigkeit aus. Dies führt zu Wettbewerbsnachteilen der Schweizer Unternehmen gegenüber ausländischen Unternehmen, die mit konventionellen, auf fossilen Energien beruhenden Verfahren günstiger produzieren. Mit einer rascheren Umsetzung von Artikel 10 des KlG soll dieser systemische Fehler behoben und ein klarer Anreiz für die Produktion von nachhaltigen Baustoffen in der Schweiz gesetzt werden."

 

🧭 Analyse der Motion:

„Rascherer Aufbau von Leitmärkten für nachhaltige Baustoffe durch öffentliche Beschaffung“


1. Reife Mündigkeit

Bewertung: positiv
→ Die Motion adressiert nicht direkt den Einzelnen, stärkt aber auf systemischer Ebene Mündigkeit durch verantwortliche Rahmensetzung:
→ Die öffentliche Hand handelt vorbildlich, schafft faire Bedingungen, ermöglicht informierte Entscheidungen und echte Alternativen.
→ Unternehmen und Konsument:innen erhalten ein klareres Orientierungsfeld, in dem nachhaltige Entscheidungen nicht zur Wettbewerbsnachteilen führen.


2. Empathie & kooperative Verbindung

Bewertung: positiv
→ Die Motion erkennt die wechselseitigen Beziehungen zwischen Staat, Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft.
→ Besonders empathisch ist der Bezug auf Schweizer Produzenten, die nachhaltige Wege gehen, aber durch die aktuelle Beschaffungspolitik benachteiligt werden.
→ Es wird ein kooperativer Impuls gesetzt: Staatliche Nachfrage als Rückenwind für Pioniere.


3. Langfristigkeit & generationenübergreifende Verantwortung

Bewertung: sehr hoch
→ Bezug auf Netto-Null 2040, Infrastrukturemissionen und strukturelle Marktveränderung zeigt klare Langfristorientierung.
→ Statt nur kurzfristiger Emissionsreduktion zielt die Motion auf dauerhafte Marktverlagerung durch Leitmärkte – eine klassische generationenorientierte Maßnahme.


4. Ökologische Wirkungen

Bewertung: stark positiv
→ Die Motion adressiert direkt die größten Emissionstreiber (Zement, Asphalt, Stahl etc.) und bietet konkrete Hebel zur Reduktion.
→ Auch Aspekte wie Kreislauffähigkeit und Elektrifizierung werden erwähnt – nicht nur CO₂-Vermeidung, sondern umfassendere Nachhaltigkeit.


5. Systemische Einbettung

Bewertung: sehr hoch
→ Der Vorstoß ist gesetzlich verankert (Artikel 10 KlG, Art. 35j USG), erkennt die Hebelwirkung der öffentlichen Beschaffung und will strukturelle Korrekturen ansetzen.
→ Erkennt den Zusammenhang zwischen Marktdesign, staatlichem Vorbild, Produktionstechnologie und Infrastrukturentscheidungen.


6. Befähigung statt Kontrolle

Bewertung: stark positiv
→ Statt Zwang oder Verbot werden Anreize und Rahmenbedingungen geschaffen, die Pioniere stärken und systemisches Lernen ermöglichen.
→ Der Staat wird zum Ermöglicher nachhaltiger Wirtschaft, nicht zum zentralen Kontrolleur – ein klarer Homo-Conscientius-Impuls.


7. Gemeinwohl & Gleichwertigkeit

Bewertung: positiv
→ Ziel: Reduktion kollektiver Umweltrisiken (Klimafolgen, Ressourcenverbrauch)
→ Schutz einheimischer Innovatoren vor systembedingter Benachteiligung
→ Öffentliche Mittel werden gezielt für Gemeinwohlwirkungen eingesetzt, nicht rein nach Preislogik


8. Sprache & implizites Menschenbild

Bewertung: bewusstseinsfördernd
→ Die Motion verwendet eine verantwortungsorientierte Sprache: Vorbildfunktion, Hebelwirkung, Anreizsetzung, Nachhaltigkeit.
→ Kein Schuldnarrativ, keine Feindbilder – sondern systemische Verantwortung und Gestaltungsmöglichkeiten


🧾 Zusammenfassung:

Diese Motion ist ein Paradebeispiel für entwicklungskompatible Politik im Sinne des Homo Conscientius:

  • Sie verbindet ökologisches Bewusstsein mit wirtschaftlicher Klugheit
  • Sie befähigt Akteure statt sie zu bevormunden
  • Sie fördert eine Struktur, in der Nachhaltigkeit nicht benachteiligt wird, sondern zur neuen Norm wird

 

Gesamteinschätzung: ✅✅ Hochentwicklungskompatibel – modellhafte Systemkorrektur zugunsten des Gemeinwohls und der planetaren Verantwortung

Motion: WHO/IGV - Kompletter Souveränitätsverlust?

Motionstext

"Da der Bundesrat in den offiziellen Unterlagen zum Vernehmlassungsverfahren keinen spezifischen Artikel der neuen IGV nennen konnte, der die uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit der Schweiz garantiert: Kann er bestätigen, dass die Schweiz im Falle eines von der WHO ausgerufenen Gesundheitsnotstands nicht mehr unilateral aus den IGV aussteigen kann und damit faktisch an WHO-Anordnungen gebunden ist – selbst wenn diese die nationale Souveränität einschränken? Durch die Anpassungen an den IGV gibt es keine Kompetenzausweitung der WHO, die die Souveränität der Staaten einschränken würde. Die IGV-Anpassungen schränken auch das souveräne Recht der Staaten nicht ein, Gesetze zur Umsetzung ihrer nationalen Gesundheitspolitik zu erlassen. Diese Souveränität ist in Artikel 3, Absatz 4 IGV explizit festgehalten. Die WHO kann schon heute, wie sie dies während der Covid-19-Pandemie getan hat, Empfehlungen an ihre Mitgliedstaaten aussprechen – auch zu Massnahmen zur Bekämpfung von Pandemien. Diese Empfehlungen sind jedoch nicht rechtsverbindlich. Die Schweiz wird auch in Zukunft jederzeit souverän über ihre eigene Gesundheitspolitik und Massnahmen im Pandemiefall entscheiden. Die IGV sind seit 70 Jahren ein wichtiges Instrument zur Bekämpfung der internationalen Verbreitung übertragbarer Krankheiten, und es ist nicht im Interesse der Schweiz, sich aus diesem Regelwerk zurückzuziehen."

🧭 Analyse der Eingabe:

„Souveränität der Schweiz bei WHO-Notstand?“ (SVP, sinngemäß formuliert)


1. Reife Mündigkeit

Bewertung: entmündigend
→ Die Motion basiert auf emotionaler Verunsicherung statt sachlicher Aufklärung.
→ Sie suggeriert, dass die Schweiz fremdbestimmt werde, obwohl die Faktenlage (z.B. IGV Artikel 3.4) das Gegenteil zeigt.
→ Dadurch wird beim Publikum Misstrauen und Ohnmacht gefördert statt echte Mündigkeit oder differenzierte Einschätzung.


2. Empathie & kooperative Verbindung

Bewertung: trennend, polarisierend
→ Es wird eine Frontstellung gegen internationale Zusammenarbeit erzeugt – ohne Differenzierung.
Globale Solidarität und gegenseitige Unterstützung in Pandemien werden nicht gewürdigt, sondern als potenzielle Gefahr dargestellt.
→ Kooperation wird als Bedrohung inszeniert – das ist nicht entwicklungsförderlich.


3. Langfristigkeit & generationenübergreifende Verantwortung

Bewertung: ⚠️ vernachlässigt
→ Der globale Gesundheitsschutz ist ein zentrales Thema für kommende Generationen.
→ Diese Perspektive fehlt völlig – der Vorstoß fokussiert kurzfristig auf nationale Abgrenzung, ohne Rücksicht auf internationale Krisenbewältigung und Prävention.


4. Ökologische Wirkungen

Bewertung: nicht zutreffend
→ Keine Verbindung zum ökologischen Systemdenken oder zur Resilienz globaler Systeme.


5. Systemische Einbettung

Bewertung: unterkomplex
→ Die WHO und die IGV werden nicht systemisch dargestellt, sondern als potenziell gefährliche Akteure.
→ Die internationale Rechtslage und multilateralen Zusammenhänge werden stark verkürzt oder falsch wiedergegeben.


6. Befähigung statt Kontrolle

Bewertung: vernebelnd statt befähigend
→ Die Bevölkerung wird durch vage Formulierungen („faktisch gebunden“, „nicht mehr unilateral“) verunsichert, statt mit klaren Informationen gestärkt.
→ Es wird kein Beitrag zur demokratischen Befähigung geleistet, sondern ein implizites Ohnmachtsgefühl erzeugt.


7. Gemeinwohl & Gleichwertigkeit

Bewertung: nationalistisch verengt
→ Die globale Dimension von Gesundheit (z.B. faire Impfstoffverteilung, Frühwarnsysteme) wird ignoriert.
→ Die Motion zielt auf Abgrenzung statt Solidarität, obwohl Pandemien grenzüberschreitende Herausforderungen sind.
→ Das Gemeinwohl wird ausschließlich national verstanden.


8. Sprache & implizites Menschenbild

Bewertung: problematisch
→ Der Text bedient ein Menschenbild des „wehrlosen Staatsbürgers, der beschützt werden muss vor fremden Mächten“.
→ Es wird nicht zur Verantwortung aufgerufen, sondern zur Abwehr und Passivität.
→ Die Sprache suggeriert bedrohliche Kontrollverluste, ohne Faktenlage sauber zu prüfen.


🧾 Zusammenfassung:

Diese Eingabe ist ein Beispiel für bewusstseinsverengte Politik, die mit Misstrauen, Vereinfachung und Isolation arbeitet:

  • Sie trägt nicht zur Entwicklung der Gesellschaft im Sinne des Homo Conscientius bei,
  • sie untergräbt Vertrauen in internationale Zusammenarbeit,
  • und sie fördert ein politisches Klima der Polarisierung statt der Differenzierung.

Gesamteinschätzung: Nicht entwicklungsverträglich – rückschrittlich in Haltung, Sprache und Wirkung