In den späten 1980er Jahren produzierte ich bei Radio LoRa in Zürich eine Reihe von Radiosendungen, in denen ich den sogenannten „Botschaftern“ indigener Völker das Mikrofon überließ. Sie waren aus verschiedenen Regionen der Welt angereist, oft im Rahmen von europäischen Veranstaltungsreihen oder eingeladen durch Organisationen wie Incomindios. Mein Anliegen war einfach: Ihnen eine Plattform zu geben, auf der sie ohne Einschränkung ihre Botschaft an uns richten konnten – unkommentiert, unbearbeitet, unzensiert.
Mir standen Dolmetscherinnen und Dolmetscher zur Seite, die meist von Incomindios organisiert wurden. In manchen Fällen war sogar eine Simultanübersetzerin im Einsatz, sodass die Worte der indigenen Sprecher:innen in Echtzeit verständlich gemacht werden konnten. Doch nicht nur die Worte zählten – es war die Haltung, die Stille zwischen den Sätzen, der Klang der Sprache selbst, der etwas in mir berührte.
Diese Begegnungen waren weit mehr als nur mediale Aufzeichnungen. Die Botschafter blieben meist mehrere Tage in der Schweiz. In dieser Zeit führten sie zahlreiche Gespräche, meist im Umfeld der Incomindios-Gemeinschaft. Dabei fiel mir auf: Vertreter aus Universitäten oder staatlichen Institutionen waren kaum anwesend. Politiker fehlten gänzlich. Es war, als ob diese Botschaften nicht in unsere offiziellen Diskurse passen wollten – oder durften.
Was damals entstand, war mehr als eine Sammlung von Interviews. Es war ein Lauschen auf eine andere Weltwahrnehmung. Die Inhalte der Gespräche reichten von Erzählungen über Landverlust und kulturelle Zerstörung bis hin zu kosmologischen Sichtweisen und Aufrufen zur Rückbesinnung auf die Erde. Diese Botschaften waren ernst, ruhig und getragen von etwas, das ich nur als tiefe Verantwortung bezeichnen kann – für das Leben als Ganzes.
Ich selbst war in dieser Zeit noch nicht bereit, vermittelnd einzugreifen. Ich stellte keine gezielten Fragen, organisierte keine Podiumsdiskussionen, und verstand meine Rolle nicht als Journalist. Ich war Zuhörender. Ich war ein Träger dieser Stimmen – ein Medium, das nicht filtern, sondern weitergeben wollte. Vielleicht lag darin ihre eigentliche Kraft.
Was geblieben ist, ist eine Sammlung von Sendungen, Erinnerungen und Eindrücken. Und die tiefe Überzeugung: Diese Stimmen sind nicht „fremd“. Sie sprechen aus einem Bewusstsein, das wir vielleicht verloren haben – das uns aber helfen könnte, unseren eigenen Weg zu finden.
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