Ein besonders intensiver Abschnitt meines Kontakts mit James Danaqyumtewa – alias James Koots – fand im Domleschg statt, im Schloss Paspels, wo teilweise Schlossgebäude zu einfachen Häusern umgebaut worden waren und in dem Agnes Barmettler zwischenzeitlich lebte. Ich war dort für zwei bis drei Tage zu Besuch, ebenso wie James. Diese gemeinsame Zeit in ruhiger Umgebung erlaubte tiefere Gespräche, frei von Zeitdruck und Alltagshektik.
James beschrieb – basierend auf der ihm überlieferten spirituellen und kulturellen Tradition –, dass die Hopi einst Teil einer deutlich größeren, komplex organisierten Gesellschaft gewesen seien, deren Strukturen in mancher Hinsicht denen der Maya ähnelten. Er sprach dabei nicht von einer direkten Abstammung, sondern eher von einem gemeinsamen oder vergleichbaren Ursprung. Diese Sichtweise wurde ein Jahr später in Wien bei einer Konferenz indigener Völker von einem Vertreter der Azteken auf ähnliche Weise bestätigt. Mehrere mittelamerikanische Völker erkennen eine solche Rolle der Hopi in ihrer eigenen Geschichte an. Das verstärkte bei mir den Eindruck, dass das Wissen der Hopi mehr war als nur Legende – es erschien mir wie eine alternative Sichtweise auf Geschichte selbst, getragen von dem Versuch, über Generationen hinweg kulturelles Gedächtnis lebendig zu halten.
Die archäologische und genetische Forschung hat in den letzten Jahren unser Bild der frühen Besiedlung Amerikas deutlich erweitert. Funde wie jene in der Chiquihuite-Höhle in Mexiko (ca. 33.000 Jahre alt) oder Fußspuren im White Sands National Park (ca. 23.000 Jahre alt) belegen, dass Menschen Nord- und Mittelamerika weit früher besiedelten als bisher angenommen. Die lange dominante Theorie einer erstmaligen Einwanderung über die Bering-Landbrücke vor etwa 15.000 Jahren gilt heute als überholt oder zumindest unvollständig. Es spricht vieles dafür, dass die frühesten Menschen entlang der Pazifikküste wanderten und sich von Süden her über den Kontinent ausbreiteten.
Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht mehr ausgeschlossen, dass kulturelle oder sogar genetische Verbindungen zwischen Völkern wie den Hopi und südlicheren Kulturen wie den Maya oder Azteken über sehr lange Zeiträume hinweg existierten – ohne dass dies in einer direkten kulturellen Linie sichtbar sein muss.
Aus heutiger Sicht gibt es keine Belege dafür, dass die Hopi kulturell, sprachlich oder historisch direkt aus der Maya-Zivilisation hervorgegangen sind. Die Hopi gehören zur uto-aztekischen Sprachfamilie und sind im heutigen Arizona beheimatet, während die Maya eine eigenständige Sprachfamilie in Mesoamerika bilden. Die geografische und sprachliche Trennung spricht gegen eine direkte Abstammung.
Allerdings lassen sich die Hopi klar in einer kontinuierlichen Entwicklungslinie indigener Kulturen des Südwestens Nordamerikas verorten. Sie gelten als direkte Nachfahren der sogenannten Ancestral Puebloans (auch Hisatsinom genannt), einer Kultur, die über Jahrtausende im Vierländereck der heutigen USA (Arizona, New Mexico, Colorado, Utah) lebte. Diese wiederum gingen aus noch früheren, archaischen Wüstengesellschaften hervor, den Desert Archaic Cultures. Diese frühen Gruppen lebten bereits viele Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung in dieser Region – lange bevor spätere Migrationsbewegungen aus dem Norden (über Beringia) einsetzten. Genetische Hinweise und mündliche Überlieferungen deuten sogar darauf hin, dass ihre Ursprünge eher im Süden zu suchen sind – zum Beispiel zeigen Studien der mitochondrialen DNA (wie Haplogruppe B) eine Verbreitung, die sowohl bei den Hopi als auch bei mesoamerikanischen Gruppen vorkommt. Zudem verweisen einige Hopi-Überlieferungen auf ein früheres Leben in weiter südlich gelegenen Regionen. – möglicherweise in alten mesoamerikanischen Kulturen oder noch weiter südlich.
Spirituelle und mündliche Überlieferungen folgen nicht zwangsläufig denselben Kriterien wie die akademische Geschichtsschreibung – sie bilden ein anderes System kollektiver Erinnerung. Interessanterweise wurde später auch durch die Forschung bestätigt, dass die Mittelschicht der Maya tatsächlich verschwand – allerdings ohne die Annahme, dass dies aus eigenem Entschluss geschah oder mit einer bewussten Abwanderung verbunden war. In diesem Sinn ist es denkbar, dass die Aussage symbolischen oder mythologischen Charakter trägt.
Die Hopi erzählten, dass sie sich in einer Phase ökologischer und gesellschaftlicher Instabilität – verursacht durch Klimaveränderungen, Ungleichheit und Machtkonflikte – bewusst zurückgezogen hätten. Sie entschieden sich damals, auszuwandern – vermutlich in die Region, die heute als Ursprungsgebiet der Hopi gilt. Der Grund dafür war ihre Einschätzung, dass die Menschheit zu diesem Zeitpunkt noch nicht reif genug war, um den nächsten zivilisatorischen Schritt verantwortungsvoll zu gehen.
Sie wählten Entschleunigung, Einfachheit und Bewahrung als Weg – zum Beispiel durch eine bewusste Abkehr von städtischen Strukturen und das Leben in kleinen, selbstversorgenden Gemeinschaften. Der Erhalt von spirituellem Wissen erfolgte nach Aussage der Hopi in Form ihrer Tänze – für sie die verlässlichste Methode, um Inhalte über sehr lange Zeiträume hinweg zu bewahren. Tänze erlaubten nach den Hopi eine Weitergabe, die nicht durch manipulative Veränderungen verzerrt wurde, wie es etwa beim geschriebenen Wort – zum Beispiel der Bibel – geschehen kann. Die minutiöse Einhaltung der Vorschriften bei diesen Tänzen ist zentral – nicht aus formalen Gründen, sondern weil sie als Garant für die Reinheit und Unverfälschtheit der überlieferten Inhalte gilt. Nur durch diese strikte Wiederholung kann nach dem Verständnis der Hopi sichergestellt werden, dass der spirituelle Gehalt der Tänze über Generationen hinweg erhalten bleibt.
Auch ihre Architektur folgte diesem Prinzip: Die traditionellen Hopi-Bauten – meist aus lokalem Lehm, Stein und Holz errichtet – fügen sich harmonisch in die Landschaft ein, sind thermisch effizient und dienen nicht der Machtdemonstration, sondern der Anpassung an Klima und Umwelt. Mehrstöckige, terrassenförmige Häuser, Zugänge über Leitern sowie zentrale Plätze und unterirdische Kivas zeigen eine Bauweise, die Funktion, Spiritualität und Gemeinschaft verbindet.
Diese Gespräche im Domleschg waren für mich prägend. Nicht durch ihre Dramatik, sondern durch ihre Tiefe. Ich fühlte mich weniger als Fragender denn als Lernender – und die Ruhe des Ortes half, das Gehörte in mir wirken zu lassen.
Das war keine Wissensvermittlung im westlichen Sinn, bei der Informationen systematisch, oft schriftlich und mit dem Ziel der messbaren Reproduzierbarkeit vermittelt werden, sondern ein Erfahrungsraum, der mir eine neue Perspektive auf kollektive Verantwortung, kulturelles Gedächtnis und geistige Reife eröffnete. Besonders eindrücklich war für mich dabei, wie unterschiedlich der Zeitbegriff war, mit dem James Koots arbeitete: Je weiter ein Ereignis in der Vergangenheit lag, desto mehr wurde die Zeit in großen, symbolischen Abschnitten zusammengefasst.
Die industrielle Revolution erschien ihm nicht als historisches Fernereignis, sondern als Teil unserer unmittelbaren Gegenwart – ein Eindruck, der mit einer zyklischen oder nicht-linearen Geschichtsauffassung vieler indigener Kulturen übereinstimmt, in der Ereignisse nicht starr vergangen sind, sondern weiterhin wirken und Bedeutung tragen, ein 'gestern' wo wir noch Einfluss haben, weil es erst 'gestern' war.
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