Die Welt des 21. Jahrhunderts ist in Bewegung. Krisen, Umbrüche, digitale Explosionen, ökologische Grenzen, gesellschaftliche Spannungen – vieles deutet auf einen tiefen Wandel hin. Und doch wirken viele Entscheidungen, Führungsgestalten und gesellschaftliche Strukturen seltsam aus der Zeit gefallen.
Es ist, als würde ein altes Muster noch einmal alle Kräfte mobilisieren, bevor es seine Bedeutung verliert.
Die dominierenden politischen Akteure der Gegenwart – in den USA, Russland, der Türkei, China, dem Iran und anderswo – verkörpern ein tief verankertes Verhalten:
Machtzentrierung,
Territorialität,
Konflikt als Strategie,
Abgrenzung statt Integration,
Emotionale Mobilisierung durch Feindbilder,
Verweigerung langfristiger Verantwortung.
Diese Haltung entspricht nicht etwa einem Zufall oder persönlicher Schwäche, sondern ist Ausdruck eines archaischen Menschentyps, der über
hunderttausende Jahre evolutionär geprägt wurde:
Dem Homo Sapiens, wie er in Jäger- und Stammeskulturen überlebte, kämpfte, überdauerte.
Was wir heute in vielen Staaten erleben – autoritäre Wenden, populistische Bewegungen, die Rückkehr patriarchaler Strukturen, Nationalismus und die gezielte Spaltung von Gesellschaften – sind Symptome einer Art, die in einer neuen Welt nicht mehr zuhause ist, aber ihre alten Instinkte noch einmal mobilisiert.
Es ist ein Verhalten, das:
Komplexität meidet,
mit Unsicherheit nicht umgehen kann,
Kontrolle sucht,
Reflexion als Schwäche versteht,
und ethisches Denken durch Stärke ersetzt.
In einer global vernetzten, ökologisch fragilen und technologisch beschleunigten Welt stößt dieses Verhalten jedoch an seine Grenzen. Die Probleme, die wir heute erleben, sind nicht lösbar mit den Denk- und Handlungsmustern des Homo Sapiens.
Vor einigen wenigen Jahrtausenden begann der Mensch, sich nicht nur als Träger von Werkzeug und Sprache zu sehen, sondern auch als moralisches Wesen.
Mit dem Erscheinen spiritueller und ethischer Lehren durch Gestalten wie Buddha, Jesus, Mohammed entstand ein neues Selbstbild. In anderen Kulturen als der Zivilisation-Kulturen
welche ich als Radiosendungsmacher aufnehmen und interviewen: durfte, auch dort zog zunehmend diese neuen Anforderungen ein.
Der Mensch sollte nicht nur überleben, sondern auch gut handeln – bewusst, mitfühlend, gerecht.
Zum ersten Mal in der Geschichte formulierten Gemeinschaften ethische Prinzipien, die über Familie, Stamm oder Nation hinausgingen. Die goldene Regel („Was du nicht willst, das
man dir tu…“) fand Eingang in viele Kulturen.
Diese Ideen waren keine Erfindung des Homo Conscientius, aber sie waren erste Rufe aus der Tiefe – ein Vorgeschmack auf das, was noch werden könnte.
Immer mehr Menschen begannen sich in Richtung eines erweiterten Bewusstseins zu entwickeln. Sie versuchten, sich aus der engen Logik von Macht, Rache und Gruppenzugehörigkeit zu lösen – auch wenn das Umfeld noch nicht bereit war.
Mit dem Zweiten Weltkrieg erlebte die Menschheit eine Selbstzerstörung, wie sie bis dahin unvorstellbar war. In den Ruinen von Auschwitz und Hiroshima wurde klar:
Der alte Mensch, der mit Waffen, Angst und Ideologie herrscht, führt die Welt in den Abgrund.
Doch aus dieser Erfahrung erwuchs für einige Jahrzehnte ein Hoffnungsschimmer – ein politischer und gesellschaftlicher Aufbruch, getragen von Ansätzen des Homo Conscientius:
Die Vereinten Nationen wurden gegründet – nicht als perfektes System, sondern als Ausdruck eines neuen globalen Verantwortungsgefühls.
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte setzte Maßstäbe jenseits von Religion, Nation und Rasse.
Demokratien wurden neu belebt, Bildung und Aufklärung gefördert, Kriegsverbrecher zur Rechenschaft gezogen.
Es entstanden Bewegungen für Frieden, Entkolonialisierung, Gleichberechtigung und Umwelt.
Dieser Impuls – getragen von der Einsicht in die Abgründe des Homo Sapiens – schuf für einige Jahrzehnte Raum für den Homo Conscientius, ohne ihn jedoch strukturell zu verankern.
In unserer Gegenwart ist der Homo Conscientius präsenter denn je.
Er spricht aus den Stimmen junger Menschen, die für Klimaschutz und Gerechtigkeit auf die Straße gehen.
Er lebt in Bildungsinitiativen, globaler Kooperation, spiritueller Tiefe und sozialer Innovation.
Er findet Ausdruck in Systemdenken, empathischer Kommunikation, gewaltfreiem Aktivismus und weltbürgerlichem Bewusstsein.
Doch trotz seines Wachsens hat der Homo Conscientius noch keinen festen Platz in den Machtstrukturen dieser Welt.
Die Regierungen, die großen Konzerne, die Militärbündnisse und digitalen Plattformen – sie werden weiterhin vom Homo Sapiens dominiert:
Von Instinkt, Kontrolle, Revierdenken, Gier und Angst vor dem Neuen.
Der Homo Conscientius steht bereit – doch er kämpft noch mit der Sprache der Zukunft in einer Welt, die von der Logik der Vergangenheit regiert wird.
Was wir heute erleben, ist kein gewöhnlicher politischer Streit. Es ist ein Machtkampf zwischen zwei Evolutionsstufen:
Der eine will erhalten, was war – aus Angst, Gier oder Gewohnheit.
Der andere will gestalten, was kommen muss – aus Einsicht, Mitgefühl und Verantwortung.
Es ist das letzte Aufbäumen einer dominanten Art, bevor sie – wenn sie nicht bereit ist, sich zu wandeln – sich selbst überlebt.
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